Spröder Charme und Bürgerstolz in Nordfrankreich

Reisegruppe der Freunde Châtillons vor dem Schloss Pierrefonds

Die Freunde von Châtillon, Vonnas und Baneins in Wächtersbach suchten sich für ihre jährliche Sprachreise dieses Mal ein eher ungewöhnliches Reiseziel. Vom 24. bis 28. August ging es in den Norden Frankreichs. Erstes Ausrufezeichen der fünftägigen Rundreise war Lille, die alte flämische Stadt an der belgischen Grenze. Wer bis dahin noch kein Reisefieber hatte, den packte es spätestens dort. Eine dichte Mischung aus mittelalterlichen Spuren, flämischer Renaissance und französischem Barock prägt die Innenstadt.

Besonders stolz ist man in dieser alten Industrie- und Handelsstadt aber auf den erfolgreichen Wandel zur modernen Dienstleistungsmetropole. Dafür steht die Schnellzuganbindung nach Paris, London und Brüssel, verbunden mit einer sehr sehenswerten modernen Hochhaus-Bauausstellung: Unverkrampfte französische Modernität direkt neben dem historischen Stadtzentrum. Auch wurden die Reiseteilnehmer dort mit der Tradition der Belfriede oder Beffroys vertraut gemacht. Diese Rathaus- oder Glockentürme finden sich in jeder nordfranzösischen oder flämischen Stadt und bringen den Bürgerstolz zum Ausdruck. „Sie dürfen nicht zerstört werden“, darauf wies die sehr agile Stadtführerin ausdrücklich hin.

Von Lille ging es weiter an die Kanalküste. Bei Calais bot sich ein unbeschreiblich klarer Blick nach England. Die berühmten Kreidefelsen von Dover schienen zum Greifen nah.

Als nächstes Ziel empfing Boulogne-sur-Mer die Frankreichfreunde mit ihrem spröden Charme. Wer hier hinter die Kulissen der Hafen- und Industriestadt schauen wollte, musste sich in die Altstadt begeben. Diese ist kaum größer als die Wächtersbacher. Man findet dort aber auf engstem Raum ein normannisches Schloss aus dem 11. Jahrhundert, der Zeit Wilhelms des Eroberers, eine Kathedrale mit einer sehr sehenswerten Krypta, einen Kaiserpalast, auch Nachbildungen ägyptischer Pyramiden und einen kleinen Landschaftspark auf der Stadtmauer. Die unbestreitbare Attraktion in dieser Stadt befindet sich aber am Hafen: Das größte Aquarium Europas. Am riesigen Haifischbecken fühlten sich viele Wächtersbacher gleich wie zuhause. Das Haifischbecken hat ungefähr die Ausmaße des Wächtersbacher Schlosses.

Ein steter Begleiter auf der gesamten Reise waren die Ereignisse beider Weltkriege. Was bedeutet das heute, dass „Deutsche Derartiges angerichtet haben“ oder dass „Solches in deutschem Namen begangen wurde?“ Fragen, die heute in Bezug auf Russland wieder sehr aktuell sind. So auch in Arras. Diese Stadt musste nach dem Ersten Weltkrieg wieder aufgebaut werden. Dabei wurden mit den beiden riesigen barocken Plätzen, dem Rathaus mit dem Belfried und der Kathedrale die schönsten Teile wieder hergestellt und lohnen unbedingt einen Besuch.

So näherte man sich langsam, aber sicher dem unbestreitbaren Höhepunkt der Reise: der quirligen Metropole Amiens. Berühmt ist die Stadt für ihre gotische Kathedrale, nicht irgendeine, sondern zusammen mit Chartres die berühmteste der Gotik. Sie wurde im 13. Jahrhundert in damals neuartigem Verfahren errichtet. Bestechend sind schon allein eine Marien- und eine Christusstatue, aus dem Mittelalter und von zeitloser Aktualität.

Amiens ist aber auch die Stadt des Jules Verne. Der Weltstar und Visionär des 19. Jahrhunderts lebte und arbeitete in dieser Stadt und hinterließ vielerorts seine Spuren. Dass er so viel schrieb, liege daran, dass er nach Zeilen bezahlt wurde, ließ die sehr engagierte Stadtführerin wissen. Amiens ist aber auch eine grüne Stadt. Direkt neben dem Stadtzentrum liegen die Wassergärten. Dort verzweigt sich das Flüsschen Somme in viele kleine Kanäle, die mit dem Kahn erkundet werden können – ähnlich dem Spreewald.

Nach so vielen Erkundungen hektischer Städte war noch Zeit für einen ganz besonderen Ausflugsort: Das schmucke Dörfchen Pierrefonds liegt unweit von Compiègne am Rande eines dichten Waldgebiets. Dieser Wald ist bekannt dafür, dass dort 1918 und 1940 französisch-deutsche Waffenstillstände geschlossen wurden. Auch in diesem Dörfchen waren die Spuren des Ersten Weltkriegs erkennbar. Heute ist es aber ein idyllisches Ausflugsziel mit einem kleinen See, der die Teilnehmer zum Tretbootfahren einlud. Die Attraktion in Pierrefonds aber ist das mächtige, auf das Mittelalter zurückgehende Schloss. Hier erfüllte sich Viollet-le-Duc, der Meister des französischen Historismus, mit dem Wiederaufbau der Ruine einen Traum. Eigentlich sollte in das wiederaufgebaute Schloss Kaiser Napoleon III. einziehen. Stattdessen wurde es noch vor seiner Absetzung, 1870 zum Museum.  Es zieht bis heute, ähnlich Neuschwanstein, die Besucher an, glücklicherweise nicht in vergleichbaren Massen.

Solchermaßen von Eindrücken gesättigt, trat man die Heimreise an. Ein großer Dank der Teilnehmer galt Marianne Leschinger, die diese Reise organisiert hatte und dabei das eine oder andere Arrangement extra aushandeln musste. Schließlich wird der Norden Frankreichs noch nicht vom Massentourismus geflutet.

D.S.

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